Das Chemikum Marburg seit seiner Gründung im Jahre 2005 bis heute

Foto: Michael Marsch

Es war eine spontane Idee: Nach dem Muster des von Prof. Albrecht Beutelspacher in Gießen so erfolgreich entwickelten Mathematikums, warum kein Chemikum in Marburg? Prof. Kurt Dehnicke sprach sofort einige Kollegen und Mitarbeiter des Fachbereichs Chemie der Philipps-Universität Marburg an, die ausnahmslos begeistert waren und ihre Mitarbeit versprachen. 

Das Konzept, eine breite Öffentlichkeit mit und ohne Chemiekenntnisse unter Aufsicht selbstständig chemische Experimente ausführen zu lassen und so die Besucher emotional mit den vielfältigen Phänomenen der Chemie vertraut zu machen, erwies sich als auch heute noch dauerhaft tragfähig. Dr. Michael Schween entwarf die für jedes Experiment notwendige plakative Beschreibung mit Hinweisen der Erklärung, in der sich bereits die Philosophie des Chemikums wiederfand. Nach dem Staunen und Wundern der emotionalen Phase folgt mit den Erklärungen die kognitive Phase – wie kommt denn das? – und schließlich für Fortgeschrittene die Phase der schöpferischen Fantasie mit eigenen Ideen und mit dem Blick auf das Tor zur Wissenschaft in der Universität.

Foto: Georg Kronenberg

Frau Elisabeth Rickelt war alsbald unermüdlich mit dem Aufbau geeigneter Experimente befasst, so dass schließlich ein hausinterner „Probelauf“ stattfinden konnte, der überaus erfolgreich verlief. Zugleich konnten aus der Kooperation mit der Deutschen Blindenstudienanstalt in Marburg und mit den Erfahrungen von Dr. Werner Liese die ersten chemischen Experimente für Blinde und stark Sehbehinderte im Chemikum angeboten werden.

Ihre Weiterentwicklung hält bis heute an, wobei sogar Farben und Farbwechsel bei chemischen Experimenten von Blinden mittels unterschiedlich hoher  Musiktöne  mit der gleichen  emotionalen Empfindung wahrgenommen werden wie von Sehenden. Sehr dankbar waren wir auch über die Zusage von Prof. Richard Göttlich, Gießen, chemische Experimente für Kleinkinder ab 4 Jahren in kleinen Gruppen anzubieten, was sich bis heute ganz außerordentlicher Beliebtheit erfreut.

Nach einer Anlauffinanzierung durch den Fonds der Chemischen Industrie und dem zunehmenden Interesse auch von Studierenden an dem Vorhaben Chemikum entschlossen wir uns, das Chemikum Marburg am 4. Oktober 2005 offiziell zu eröffnen.

Nach ermutigenden Ansprachen der hessischen Sozialministerin Silke Lautenschläger als Vertreterin der Hessischen Landesregierung, dem Präsidenten der Philipps-Universität Marburg Prof. Volker Nienhaus und dem Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg Egon Vaupel wurde die symbolische Eröffnung durch Frau Lautenschläger und dem Dekan des Fachbereichs Chemie Prof. Ulrich Koert vollzogen.

Sämtliche Experimentierplätze waren schon lange vorher vergeben; als Rahmenprogramm dienten sehr gut besuchte Experimentalvorträge, gleichsam als Appetitanreger. Der Erfolg der ersten einwöchigen Veranstaltung überstieg alle Erwartungen. Eine wohlwollende mediale Berichterstattung in Presse, Rundfunk und Fernsehen weckten schon Wissbegier und Interesse an der nächsten Runde.

Foto: Michael Marsch

Als besonders glücklicher Umstand erwies sich die Idee von Prof. Bernhard Neumüller, als Betreuer der Besucher vorwiegend Studierende des Lehramts zu gewinnen, für die diese Aufgaben wegen der Heterogenität von Interessen und Kenntnissen der Probanden eine willkommene Herausforderung darstellt.

Dank der großzügigen Hilfe durch den Oberbürgermeister Egon Vaupel und der Unterstützung durch den Fachbereich Chemie konnten die Öffnungszeiten des Chemikums auf zweimal 14 Tage im Jahr während der vorlesungsfreien Zeit angeboten werden. Zugleich fand der Einzugsbereich der anfangs vorwiegend örtlichen Besucher immer weiter auch über Hessen hinaus reges Interesse.

Inzwischen ist auch der Fachbereich Biologie mit einer Reihe ideenreicher Experimente und mit Experimentalvorlesungen im Chemikum vertreten, sodass ein erster Schritt der Ausdehnung auch in die übrigen naturwissenschaftlichen Fachgebiete Physik und Pharmazie aussichtsreich ist.

Im Oktober 2006 wurde die Leitung des Chemikums Marburg von Frau Prof. Dr. Stefanie Dehnen nach der Annahme ihrer Berufung auf einen Lehrstuhl für anorganische Chemie der Philipps-Universität Marburg übernommen.

Unter ihrer dynamischen Führung wurde am 18. September 2007 in Gegenwart des Oberbürgermeisters der „Förderverein Chemikum Marburg e. V.“ gegründet, der uneigennützige Ziele verfolgt und zugleich die erste juristische Anlehnung des Chemikums an die Philipps-Universität Marburg, den Senat der Stadt Marburg und der Hessischen Landesregierung darstellt.

Nach einer herzhaften Entscheidung aus Anlass des Konjunkturprogramms der Bundesregierung gelang Stadt, Universität und Landesregierung die Sanierung und der Umbau eines stattlichen traditionsreichen Gebäudes, dem alten Chemischen Institut in der Bahnhofstraße 7, in exzellenter Lage der Innenstadt für die Zwecke des Chemikums Marburg bereitzustellen. Damit ist auch die Voraussetzung für die Kooperation mit dem Mathematikum in Gießen erfüllt, welche zu Synergieeffekten der jeweils gleichen Besucher führen wird.

Foto: Markus Farnung

Die verbindliche juristische Form wurde dem Chemikum Marburg am 24. Oktober 2011 mit der Gründung des Chemikum Marburg e.V. gegeben. Bereits wenige Tage später konnten auch die neuen Räumlichkeiten des Chemikum Marburg von der Präsidentin der Philipps-Universität Marburg Prof. Katharina Krause, der Ministerin des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Frau Eva Kühne-Hörmann, dem Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg Egon Vaupel und der Leiterin des Chemikum Marburg Prof. Stefanie Dehnen feierlich eingeweiht werden. Neben den neuen Laboren und Ausstellunsgräumen wurde das didaktische Konzept vorgestellt welches sogleich von einigen Schülern der Martin-Luther-Schule mit diversen Experimenten auf Herz und Nieren geprüft werden konnte.

Es wird sehr spannend und reizvoll werden, und zugleich wissenschaftlich interessant sein, ab Februar 2012 zu erleben, wie sich Philosophie und Naturwissenschaften im Experiment begegnen und gegenseitig bereichern.

© Prof. Dr. Kurt Dehnicke - Dezember 2010 - Requiescat in pace